Wer reitet so spät durch Nacht u. Wind? Tanztheater lyrisch inspiriert

Erstaufführung: 30.06.2007

Pressestimme:

"Tanzen ist Träumen mit den Beinen: Und weil man fürs Träumen auch Worte gut gebrauchen kann, haben sich 140 junge Tänzerinnen aus Sonja Chiara Heegs „Studio für Bewegung und Tanz" in Aschaffenburg-Leider beides vorgenommen. Zweimal zeigten die gut 140 Mädchen zwischen vier und vierzehn Jahren am Wochenende in der Maintalhalle die Schnittmenge aus Poesie und Bewegung: In 15 Szenen vertanzten sie Gedichte und benannten ihren Abend mit Goethes Worten „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?"

Einfallsreich und liebevoll kostümiert kommen sie alle auf die Bühne: Die Kleinsten, im Alter zwischen vier und sechs, lassen ihre Beinchen zum gleichnamigen Ringelnatz-Gedicht in der Luft zappeln; die Älteren, die Teenager, wühlen in schicken Schuhen: Gut, dass Christian Morgenstern zu dem Thema gedichtet hat. Die Umsetzung der Texte variiert nach Alter und Gusto, reicht vom Abstrakten bis zum szenisch Gespielten.

Ausgewählt hat die Gedichte Sonja Heeg - passend zum Alter der Tanzgruppen. Die Texte haben die Impulse zur Bewegung gegeben: Seit November haben die Kinder an ihrem ganz eigenen Zugang zur Lyrik gearbeitet und diesen in Bewegung übersetzt. Wen oder was etwa könnte Christian Morgenstern gemeint haben, als er in seinem Gedicht Gruselett vom „Flügelflagel" erzählt? Die Kinder interpretieren es so: Einen Flügel, ein Klavier das fliegen kann. Sie tanzen den Flügelflagel mit Armen, die nach oben streben und mit Fingern, die in der Luft Klavier spielen.

Je älter die Kinder, desto professioneller die Darbietung. Doch ihr gehe es nicht darum, technisches Können zu perfektionieren, betont Sonja Heeg. Vielmehr sei der Weg das Ziel. Dennoch sind es vor allem die älteren Schülerinnen, die spannungsreichen Tanz mit viel Ausdruck zeigen. Joachim Ringelnatz` Gedicht „Die Ameisen" etwa zeigen die Tänzerinnen als ermüdende Reise: Zunehmend erschöpft spazieren, flanieren, wandern, torkeln und wanken sie über die Bühne, bis sie schließlich zusammenbrechen.

Anmut und Grazie beweisen die „Großen" im blauen Licht und weiß-wallenden Kleidern zu Franz Wittkamps Gedicht „Du bist da, und ich bin hier". Einen der einprägsamsten Momente schaffen die Tänzerinnen, als sie die Grenze zwischen groß und klein überwinden: Zu Ringelnatz „Ich habe dich so lieb" tanzen die Jüngsten mit den Ältesten und zeigen nebenbei, was Tanzen noch sein kann:

Füreinander da, miteinander sein.

Der Vortrag der Texte ist bei all dem keine Nebensächlichkeit: Mit Diana Reinhardt und Bhavito van Lee haben die Kinder Phonetik und Schauspiel eingeübt. Überhaupt steht hinter der Aufführung eine äußerst professionelle Herangehensweise: Licht (Matthias Burger) und Ton (Robert Kunkel) spielen perfekt zusammen, um den Tanz der Kinder in die rechte Bildlichkeit zu rücken.

Höhepunkt ist schließlich Goethes „Erlkönig". Szenisch bilden die Elevinnen das Gedicht nach, zeigen die tragische Geschichte vom Vater, der mit seinem Sohn durch den Wald reitet und dort den Erlkönig und seine Töchter trifft. Bildung wird spätestens hier zum erlebbaren Gut: Ein Gedicht sind nicht nur Worte, sondern vor allem auch Gefühle. Und die wiederum lassen sich nicht nur in Worten ausdrücken - sondern mit dem ganzen Körper."

Bericht erschienen im Main-Echo vom 04.07.2007

 

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