Parallwelten: Vivaldi Vier Jahreszeiten
Tanztheater zu Virtualität und Realität
Wie verbinde ich einen Klassiker mit der jetzigen Zeit?
Häufig steht die Aschaffenburger Choreografin und Tanzpädagogin Sonja Heeg vor dieser Frage, wenn es um die Themen- und Ideenfindung für das nächste abendfüllende Tanztheaterstück geht.
1725 komponierte Vivaldi die "Vier Jahreszeiten", 1989 interpretierte Nigel Kennedy diese erstmals auf seine Art und 2015 schuf er "The new four seasons".
Vivaldi selbst beschreibt in seinen Sonetten die musikalischen Geschehnisse mit uns heute märchenhaft erscheinenden Bildern. Und so ergibt sich schnell: Die originalen Vivaldi-Sätze stehen eher für eine (vermeintlich ?) heile Welt, eine klassische, heutzutage quasi "virtuelle" Welt.
Dieser Beschreibung aus der Zeit Vivaldis steht die heutige reale Welt gegenüber, mit all ihren aktuellen Problemen, die Sonja Heeg deshalb mit der "modernen" Interpretation Nigel Kennedys ("The new four seasons") verknüpft. Die Steuerung des Wechsels zwischen diesen "Parallelwelten" überträgt Heeg einer Schauspielgruppe: Begeistert programmieren ein paar "Computer-Nerds" die virtuellen "heile-Welt-Szenen" auf die Bühne, nachdem Ihnen tolle 3-D-Brillen aus der "Pandora II - Büchse" in die Hände gefallen sind.
Und so hört und sieht das Publikum zunächst Vivaldis Frühling ganz klassisch mit Vogelgezwitscher, Hirten und Nymphen am Bach. Danach folgt die Wirklichkeit, der reale Frühling in Kennedys Interpretation der Musik und Sonja Heegs Choreografien zu modernen Liebespaaren.
Mit diesen Gegensätzen folgen auch die übrigen Jahreszeiten. Im "realen" Sommer Kennedys sind die Plagegeister nicht Fliegen und Mücken, sondern Drohnen.
Vivaldi-Kenner und -Liebhaber erwarteten mit dem Winter nun das Ende des Jahresreigens, doch plötzlich verliert die Programmier-Truppe die Kontrolle über die Ereignisse: Eine "heile Familie" scheint zunächst eine weitere Fortsetzung der Virtualität zu sein. Doch als plötzlich Soldaten auftauchen und Kampfhandlungen beginnen, wird klar: Diesmal ist es nicht "heile Welt", es ist nicht virtuell und nicht programmiert.
Die Zuschauer finden sich pötzlich real zur Musik Rimski-Korsakows wieder in Heegs ergreifender Choreografie "Die Flucht", erstmals aufgeführt in der Veranstaltung "Rhythm in concert" im Oktober 2016:
Mit Hilfe des hegelianischen Weltgeistes und zur Musik "danse macabre" von Camille Saint-Saens findet sich glücklicherweise noch die Lösung aus der "Pandora-II"-Büchse: Die Fehlentwicklung wird einfach "abgeschaltet".
Insgesamt 28 neue Choreographie-Szenen und 183 TänzerInnen brachte Sonja Heeg mit "Parallelwelten" auf die Bühne. Die jüngeren SchülerInnen zeigten überwiegend die virtuellen Vivaldi-Szenen, die älteren projezierten die moderne Version Kennedys auf die Bühne. Die Schauspielszenen der Computer-Junkies und Weltgeister bildeten das Gerüst für die Handlung und riefen die große Pina Bausch in Erinnerung mit ihrem berühmten Spruch: „Mich interessiert nicht (nur), wie die Menschen sich bewegen, sondern (auch) was sie bewegt."
Frenetischer Applaus des Publikums, als am Ende alle Mitwirkenden auf die Bühne kommen und sich zu einem jubelnden und drehenden Riesenrad vereinen.
Fotos: Jenny Brandt
Schauspielszenen: Diana Junker-Reinhard,
Kostüme: Sigrid Baumann,
Inspizienz: Nadine Knauft u. Ronja Brunner,
Maske: Geli Knauft)